Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: Ein gutes Haus mit miesen Quoten

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Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 191: Liebe, Leid und Schokolade.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer weiteren Sat.1-Serie, die vom Erfolg der RTL-Soap «Gute Zeiten, Schlechte Zeiten» profitieren wollte.

«Unter den Linden» wurde am 16. Juli 2006 in Sat.1 geboren und entstand zu einer Zeit, als der Sender mit seiner täglichen Telenovela «Verliebt in Berlin» eine ausgesprochen erfolgreiche Produktion im täglichen Line-Up hatte, die aufgrund ihrer hohen Sehbeteiligungen nicht nur das eigene Programmumfeld enorm aufwertete, sondern auch die Konkurrenz in Bedrängnis brachte. In den Augen des damaligen Senderchefs Roger Schawinski war sie „der seit Jahren mit Abstand größte Erfolg im so hart umkämpften Vorabend im deutschen Fernsehen.“ Was lag daher näher, als weitere Formate nach ähnlichem Muster zu kreieren?

Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff, der wie auch «Verliebt in Berlin» mit den Gegensätzen von unterschiedlichen Gesellschaftsklassen handeln sollte, stieß die verantwortliche Produktionsfirma Phoenix Film auf die englische Reihe «Upstairs, Downstairs» (dt. «Das Haus am Eaton Place»), in der die Spannungen zwischen einer reichen Londoner Familie und ihren Untergebenen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erzählt wurden. Die neue Sat.1-Produktion aus der Feder von «Girlfriends»-Autor Christian Pfannenschmidt übernahm diesen Grundkonflikt, verlegte aber die Handlung von Großbritannien ins heimische Berlin. Im Zentrum stand nun die Familie Gravenhorst, die durch ihre traditionsreiche Schokoladenfabrik wohlhabend war und mit ihrem Dienstpersonal in einer großen Villa lebte. Die Geschichte folgte dabei hauptsächlich der reichen Gravenhorst-Tochter Friederike, die sich in den armen Kutscher verliebte, sowie dem einfachen Hausmädchen Anna Merthin, das durch einen besonders feinen Geschmackssinn auffiel. Wie auch bei der Vorlage wurde auf eine möglichst exakte historische Umsetzung, aufwendige Kulissen und originalgetreue Kostüme besonderen Wert gelegt. Dafür entstanden in zwei Studios auf dem Gelände der Berliner Union-Film in Berlin-Tempelhof die teuren Sets.

Mit Nina Bott konnte für die Rolle der Tochter des Hauses ein populäres Gesicht der RTL-Erfolgssoap «Gute Zeiten, Schlechte Zeiten» gewonnen werden, womit sich auch «Unter den Linden» in die lange Liste der Sat.1-Produktionen mit ehemaligen «GZSZ»-Stars (z.B. Alexandra Neldel in «Verliebt in Berlin», Tim Sander in «Verliebt in Berlin II», Raphael Vogt in «Schmetterlinge im Bauch» und später Jeanette Biedermann in «Anna und die Liebe») einreihte. Die Rolle des Familienoberhaupts Arthur Gravenhorst übernahm Peter Prager, der zuvor in zahlreichen Serien, unter anderem der Ärzte-Soap «St. Angela», mitwirkte. Außerdem stießen mit Horst Krause und Jaecki Schwarz zwei bekannte Ermittler der Krimireihe «Polizeiruf 110» zur Besetzung hinzu.


Weil es ein kühnes Unterfangen war, eine historische Serie in Auftrag geben zu wollen, versuchte sich der Sender Sat.1 durch eine Marktforschung abzusichern zu lassen. Die Befragung ergab „mehrheitlich positive“ Antworten, wie Roger Schawinski in seinem 2007 veröffentlichten Buch „Die TV-Falle“ erklärte, weswegen man die Order für eine volle Staffel erteilte. Als die ersten Folgen dann jedoch einem Testpublikum vorgeführt wurden, stießen diese auf eine breite Ablehnung. Hier zeigte sich, dass ein theoretisches Interesse nicht zwangsläufig auch eine tatsächliche Begeisterung oder gar einen Einschaltimpuls begründen muss. Ganz unerwartet dürften diese Reaktionen aber auch deswegen nicht gewesen sein, weil im Jahr zuvor die historischen Telenovela «Sophie – Braut wider Willen» mit Yvonne Catterfeld im Ersten scheiterte.

Entmutigt durch das negative Umfrageergebnis erhielt das Prestige-Projekt daher keinen prominenten Sendeplatz in der Primetime, sondern wurde im Sommerprogramm am Sonntagvorabend um 19.15 Uhr versteckt. Daher überraschte es niemanden, dass die Premiere nur unterdurchschnittliche Quoten erreichte. Lediglich 1,63 Millionen Menschen verfolgten den Auftakt. Der Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe blieb mit 9,6 Prozent mehr als zwei Prozentpunkte unterhalb des damaligen Senderschnitts. Als nach vier Wochen die Werte auf rund 1,5 Millionen Zuschauer und einen Zielgruppenmarktanteil von unter acht Prozent abfielen, verlegte man die Erstausstrahlungen auf den bisherigen Wiederholungsslot im sonntäglichen Nachmittagsprogramm. Zwar gab es noch vor Beginn der Ausstrahlung bereits Planungen für eine zweite Staffel, doch diese wurde aufgrund der mangelnden Publikumsresonanz nie in Auftrag gegeben.

«Unter den Linden» wurde am 08. Oktober 2006 beerdigt und erreichte ein Alter von 13 Folgen. Die Serie hinterließ die Hauptdarstellerin Nina Bott, die ab dem Jahr 2008 mit ihrer Hauptrolle in «Alles was zählt» wieder ins tägliche Soap-Geschäft einstieg. Rund ein Jahr nach ihrem dortigen Abgang war sie für sieben Monate auch in der Seifenoper «Verbotene Liebe» zu sehen. Peter Prager verkörperte später in der viel beachteten RTL-Reihe «Doctor’s Diary» den Vater der Hauptfigur Greetchen, während Annekathrin Bach für vier Staffeln in der ZDF-Produktion «Küstenwache» mitspielte. In den Studios der Union-Film, wo auch «GZSZ» anfangs produziert wurde, entstand ab 2009 übrigens auch die Sat.1-Daily «Eine wie keine», die von den Differenzen zwischen der Führungsriege und den Angestellten eines Berliner Luxushotels handelte.

Möge die Serie in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann jener historischen Serie mit «GZSZ»-Star Yvonne Catterfeld.

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