Die Kino-Kritiker

«Die Tribute von Panem»

von
Die Jugendbuchverfilmung verschenkt das Potential ihres vielversprechenden Zukunftsszenarios.

Nachdem die überaus lukrative «Harry Potter»-Reihe im letzten Jahr nach acht Filmen zu Ende gegangen ist und demnächst auch das Finale der ähnlich populären «Twilight»-Saga bevorsteht, sind die Produktionsstudios Hollywoods fleißig darum bemüht, die dadurch entstehende Lücke der Milliardengewinne einbringenden Jugendbuchadaptionen zu schließen und ein neues ebenso erfolgreiches Franchise zu etablieren. Die in diesem Kontext zum Teil bereits parallel zu den besagten Reihen gestarteten Versuche in Form von Leinwandversionen der Fantasyromane «Der goldene Kompass» und «Percy Jackson: Diebe im Olymp» waren zwar international gesehen keine finanziellen Totalausfälle, blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück und spielten auf dem für die Studios so bedeutenden US-Markt nicht einmal ihre Produktionskosten wieder ein. Der Verfilmung von Cornelia Funkes «Tintenherz» gelang letzteres sogar weltweit nur mit Ach und Krach. Nicht weiter verwunderlich, dass die Realisierung der jeweiligen Fortsetzungen noch etwas auf sich warten lässt («Percy Jackson») bzw. schon als ausgeschlossen gilt («Der goldene Kompass», «Tintenherz»).

Selbst die tatsächlich auch im Kino fortgeführten «Chroniken von Narnia» gerieten nach einem wirtschaftlich sehr vielversprechenden Start später mit den Teilen zwei und drei hinsichtlich ihrer Einspielergebnisse etwas ins Straucheln. So richten sich die Augen nun auf den neuen Hoffnungsträger «Die Tribute von Panem», welcher auf der gleichnamigen und noch sehr jungen Jugendbuchtrilogie von Suzanne Collins basiert und unter der Regie von Gary Ross («Pleasantville», «Seabiscuit») für die große Leinwand aufbereitet wurde. Angesichts der überragenden Ticketvorverkäufe dürfte zumindest die Verwirklichung der ersten Fortsetzung schon jetzt in trockenen Tüchern und Suzanne Collins Geschichten somit bereits eine glücklichere Filmlaufbahn als einigen der eingangs erwähnten Romanverfilmungen beschieden sein.

Das Besondere an «Die Tribute von Panem» ist sicherlich unter anderem die für ein Jugendbuch recht ungewöhnliche und spannende, wenn auch nicht grundlegend neue Ausgangsidee. Schauplatz der Handlung ist Nordamerika in einer nicht näher definierten Zukunft. Oder vielmehr das, was zu jener Zeit von dem Kontinent noch übrig ist. So hat sich aus den Trümmern der nach Naturkatastrophen zerstörten Vereinigten Staaten die neue Nation Panem gebildet, welche aus zwölf Distrikten und dem sie totalitär regierenden Kapitol besteht. Nachdem die unter ständiger Hungersnot leidenden Distrikte einst vergeblich gegen das Kapitol aufbegehrt haben, wurden die so genannten Hungerspiele ins Leben gerufen, die der Mahnung und Einschüchterung dienen sollen, um erneute Aufstände im Keim zu ersticken. Bei den mit Kameras begleiteten „Spielen“ handelt es sich um alljährlich stattfindende brutale Wettkämpfe auf Leben und Tod, zu dem jeweils zwei Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren als Tribut aus jedem Distrikt ausgelost werden.

Als bei den mittlerweile 74. Hungerspielen die gerade einmal zwölfjährige Primrose Everdeen (Willow Shields) als Vertreterin des zwölften Distrikts ausgewählt wird, meldet sich ihre, seit dem Tod des Vaters für die Familie sorgende Schwester Katniss (Jennifer Lawrence) freiwillig als Ersatz. Gemeinsam mit dem männlichen Tribut von Distrikt 12 (Josh Hutcherson) tritt sie die Reise ins entfernte Kapitol an, wo sie auf den blutigen Kampf vorbereitet werden soll, aus dem am Ende nur einer als Sieger hervorgehen kann.

Die Etablierung dieses finsteren Szenarios gelingt Regisseur Gary Ross in recht kurzer Zeit erstaunlich gut. Zwar wären hier und da ein paar prägnante Einschübe wünschenswert gewesen, welche die Situation im verarmten Distrikt 12 und insbesondere das vorherrschende Hungerproblem noch etwas stärker verdeutlichen, doch genügt der vermittelte Eindruck durchaus, um die Beklemmung der bereits nach wenigen Filmminuten gezeigten Auswahl der Tribute aus Distrikt 12 greifbar werden zu lassen, sodass Katniss’ verzweifelte Entscheidung zum Schutz ihrer Schwester in der Tat zu berühren weiß. Dies ist zu großen Teilen allerdings auch der talentierten Jennifer Lawrence (Oscar-nominiert für «Winter’s Bone») zu verdanken, die mit ihrem Spiel stets äußerst gekonnt die Ambivalenz zwischen innerer Verzweiflung und äußerer Härte aufzeigt. Dabei wirkt ihre Katniss insgesamt gar sympathischer als ihr zwar bewusst, jedoch mitunter übertrieben unterkühltes literarisches Pendant, ohne jedoch die Figur an sich in irgendeiner Weise zu verraten.

Auch bei der nächsten großen Handlungsstation, dem Aufenthalt im wohlhabenden Kapitol, beweist Gary Ross ein glückliches inszenatorisches Händchen. Die Stimmung der Romanvorlage adäquat übertragend und vielleicht sogar noch etwas überspitzend, entfaltet er vor den Augen des Zuschauers eine bunte, pompöse und recht sonderbare Welt, die das Leid der umliegenden zwölf Distrikte keineswegs ernst zu nehmen scheint. Schlimmer noch. Im Rahmen der als freudiges Medienspektakel inszenierten Hungerspiele ergötzen sich die Kapitol-Bewohner regelrecht daran. Das ist gelungene makabere Mediensatire, die mit den überdrehten Auftritten eines hervorragend aufgelegten Stanley Tucci («Terminal», «Der Teufel trägt Prada») als schmieriger Fernsehmoderator zweifellos ihre Highlights findet. Dabei ist insbesondere auch der mediale Aufbau der einzelnen Kandidaten durchaus bemerkenswert, von denen jeder zu einem bestimmten Typen hochstilisiert wird, wie es auch bei heutigen Castingshows der Marke «DSDS» kein Stück anders ist.

So gut diese erste Hälfte des Films über weite Strecken funktioniert, so sehr scheitert die Geschichte, wenn es schließlich zu den eigentlichen Hungerspielen, immerhin dem zentralen Element der Handlung, kommt. Während die Anspannung kurz vor dem Beginn des Wettkampfs noch überaus greifbar an den Nerven zerrt und die ersten intensiven Sekunden des „Spiels“ (trotz der auf Dauer sehr anstrengenden und der Gewaltminderung dienenden verwackelten Nahaufnahmen) mit sehr frühen Todesopfern zu schocken wissen, ist diese beklemmende Stimmung für den Rest des Films plötzlich wie weggeblasen. Statt eines tiefgründigeren Psychodramas über das Verhalten im Angesicht des nahezu sicheren Todes, wie es zumindest in Ansätzen der thematische Ähnlichkeiten aufweisende «Battle Royale» (2000) war, bekommt man, wohl als Zugeständnis an das jugendliche Zielpublikum, einen 08/15-Teenie-Abenteuerfilm geboten.

Aufgrund der Fülle an Charakteren, bleiben die einzelnen Nebenfiguren allesamt blass oder werden so überdeutlich als stereotype Unsympathen gezeichnet, dass die Todesfälle abgesehen von vereinzelten Ausnahmen erschreckend belanglos erscheinen, mitunter sogar fast schon herbeigesehnt werden, was die Macher gar ein wenig in moralische Bedrängnis bringt. Eigentlich fast schon ein Punkt, an dem ein erneuter Seitenhieb gegen die abgestumpfte Sensationsgeilheit der Medien und ihrer Konsumenten ansetzen könnte, doch bleibt diese Chance an dieser Stelle leider ungenutzt. Ein Gefühl der Verzweiflung, der Bedrohung oder des Entsetzens will sich so keineswegs mehr einstellen, zumal alles aufgrund der filmischen Straffung nun allzu gehetzt wirkt und der Ausgang des Ganzen sich ohnehin sehr früh abzeichnet. So dominieren unnötige Längen das Geschehen, die merklich an dessen Intensität nagen.

Dabei ist der Film immerhin schon so mutig, die ausschließlich auf Katniss fokussierte Erzählperspektive der Vorlage mitunter zu verlassen, um hin und wieder auch das Geschehen hinter den Kulissen aufzuzeigen. Doch trauen sich Gary Ross und sein Team letztendlich doch nicht, sich in dieser Hinsicht noch etwas weiter vom Roman zu lösen und die angedeuteten Möglichkeiten konsequenter zu nutzen. Trotz vereinzelter makaberer Einfälle und der sehenswerten Leistungen von Donald Sutherland («Die Körperfresser kommen», «Space Cowboys») und Wes Bentley («American Beauty», «Ghost Rider») lassen diese Szenen ebenfalls die Klasse der ersten Filmhälfte vermissen. So bieten sie aufgrund der nun deutlich zurückgefahrenen bissigen Kritik am aufgezeigten System kaum einen Mehrwert und sind in den Momenten, in denen mit plötzlicher Willkür das Geschehen mehrfach beeinflusst wird, sogar regelrecht ärgerlich.

Die Jugendbuchverfilmung «Die Tribute von Panem - The Hunger Games» schafft es insgesamt zwar die Vorlage werkgetreu auf die Leinwand zu transportieren, erbt dabei jedoch auch einige ihrer Schwächen und bleibt angesichts des kontroversen Ausgangsszenarios somit deutlich hinter den Möglichkeiten zurück. Was als beklemmende Dystopie und treffsichere Mediensatire beginnt, wird im Verlauf der titelgebenden Hungerspiele trotz der nach wie vor großartigen Jennifer Lawrence zu einer leider äußerst anspruchs- und seelenlosen Hatz durch die Wälder. Verschenktes Potential, das hoffentlich mit der sicherlich kommenden Fortsetzung ausgeschöpft wird.

«Die Tribute von Panem - The Hunger Games» ist seit dem 22. März in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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