Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: Schräge Nummern am Morgen

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Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 180: Die wahrscheinlich skurrilste Talentsuche der deutschen Fernsehgeschichte.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir der direktesten Talentshow im deutschen Fernsehen.

Der «Morning Star» wurde am 25. August 1997 in Sat.1 geboren und entstand noch lang bevor es Castingshows im deutschen Fernsehen gab und dennoch kann die Reihe als ein Vorgänger des Genres bezeichnet werden. Sie war nämlich ein Talentwettbewerb, bei dem die Zuschauer über Erfolg und Misserfolg der Kandidaten entscheiden konnten. Dazu präsentierte in jeder Ausgabe ein Bewerber seine Fähigkeit live im Fernsehen. Das Konzept dahinter war eine Mischung aus der legendären «Gong Show» und der kurzlebigen Sat.1-Sendung «Jetzt sind Sie dran!», denn auch bei ihr galt es, das Publikum für die Dauer einer vorgegebenen Zeitspanne zu unterhalten. Nervten ihre Darbietungen zu sehr, wurden sie nach einer Schonfrist gnadenlos abgebrochen.

Anders als bei der «Gong Show» oder «Jetzt sind Sie dran!» entschieden weder eine Jury noch das Studiopublikum über das Schicksal der Kandidaten, sondern ausschließlich die heimischen Fernsehzuschauer. Diese konnten nämlich noch während der Performance zwei Telefonnummern wählen, die entweder die Fortsetzung des Auftritts oder dessen Abbruch forderten. Überwog die Anzahl der ablehnenden Stimmen flog der Kandidat von der Bühne. Hielt er hingegen drei Minuten ohne Abwahl durch, durfte er im Monatsfinale um den Titel «Morning Star des Monats» antreten. Zusätzlich wurde am Ende eines Jahres aus allen Monatssiegern auch der «Morning Star des Jahres» gewählt. Zu gewinnen gab es Geld- und Sachpreise (z.B. 5.000 DM oder eine Reise).

Nur die wenigsten Kandidaten schafften es damals, die geforderten drei Minuten zu überstehen, weil die meisten Aufführungen äußerst skurril und amateurhaft waren, woraus die Reihe ihren Unterhaltungswert zog. Im Laufe der Zeit gab es so unter anderem eine Sängerin, die trotz fehlender Englischkenntnisse den Madonna-Song „Frozen“ interpretierte, einen Akkordeonspieler, der versuchte, sein Instrument während eines Kopfstands zu spielen und dabei von den Moderatoren gestützt werden musste, sowie einen Kandidaten, der einen so heftigen Texthänger hatte, dass er seinen Spickzettel bemühen musste. Außerdem präsentierte eine singende Hausfrau ihre Ode an Skispringer Sven Hannawald und vier nur mit einem Topf vor ihrem Geschlecht bekleidete Männer, erzeugten einen Rhythmus mit einem Klöppel, der zwischen ihren Beinen angebracht war. Darüber hinaus gab es Artisten, Zauberer, Dichter, Hobby-Schauspieler und unzählige Sänger, die ihre Eigenkompositionen darboten. Eine unter ihnen war auch Christel Jenniches, die mit dem Titel „Ehrliche Politiker“ Stefan Raab derart beeindruckte, dass er sie mehrfach zu «TV Total» einlud und letztlich die entsprechende Single herausbrachte. Heiko Loeppke sowie Claudia Hagmeyer waren bei Raab ebenso zu Gast und auch die damaligen Ausgaben der Clipshow «Zapping» hatten fast täglich Ausschnitte aus dem Talentwettbewerb im Programm.

So ist auch der Kultstatus der Reihe zu erklären, die es allerdings nie zu einer eigenen Sendung geschafft hat, sondern wie der kultige «Superball» lediglich eine Rubrik innerhalb des «Sat.1 Frühstücksfernsehens» war. Der Sendeplatz des 5minütigen Segments war noch vor 8.00 Uhr entsprechend undankbar. Dennoch erreichten die Auftritte zuweilen Marktanteile von rund 30 Prozent und motivierten bis zu 8.000 Anrufer zur Stimmabgabe. Moderiert wurden sie von den jeweiligen Morgenshow-Gesichtern.

Alle Aufführungen fanden stets in einer kleinen Ecke der «Frühstücksfernsehen»-Deko und ohne Livepublikum statt. Dies änderte sich für einige Spezialausgaben im Winter 2003, als mehrere Nummern in einer Berliner Szenekneipe aufgezeichnet wurden. Zuweilen gab es obendrein einen 30minütigen Zusammenschnitt der witzigsten Momente in einigen Silvesternächten.

So beliebt die Reihe auch gewesen sein mag, der aufkommende Castingboom machte sie ab 2003 Schritt für Schritt überflüssiger, bis sie irgendwann einfach aus den Sendeabläufen entfernt wurde. Als das «Frühstücksfernsehen» ab Juli 2008 einen samstäglichen Ableger bekam, tauchte darin kurzzeitig auch wieder die Talentsuche auf. Mit der Einstellung der Wochenendausgabe verschwand sie dann ein weiteres Mal.

Der «Morning Star» wurde im Jahr 2009 beerdigt und erreichte mit Unterbrechungen ein Alter von zwölf Jahren. Die Show hinterließ mit Gracia Baur eine Bewerberin, die es später unter die Top Ten der ersten Staffel von «Deutschland sucht den Superstar» schaffte und beim «Eurovision Song Contest» im Jahr 2005 den letzten Platz belegte. Die Sängerin Stefanie Krämer, die damals die Faith-Hill-Ballade „There You’ll Be“ sang, trat dann bei «Star Search» an und kam dort immerhin bis ins Halbfinale.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einem kleinen Fernseher, der auf den Fluren des ZDFs umherirrte.

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