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Die deutsche Serie: Von fehlendem Mut

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Wieso ist die deutsche Serie international doch noch nicht so angesehen? Wieso kommen Erzähltrends oft aus den Vereinigten Staaten? Wir sprachen mit Isolde Tarrach (Ex-Chefautorin von «Verbotene Liebe») und «Danni Lowinski»-Erfinder Marc Terjung.

Die amerikanische Serie «Homeland» (Foto) war vielleicht der Überraschungserfolg des vergangenen TV-Jahres. Am 15. Januar wurde sie mit dem Golden Globe als beste Dramaserie ausgezeichnet, Hauptdarstellerin Claire Danes erhielt einen weiteren der begehrten Preise als beste Hauptdarstellerin. Für die Verleihung der WGA Awards am 19. Februar ist «Homeland» ferner als beste Dramaserie, beste neue Serie und bestes „Episodic Drama“ nominiert.

Das Interessante daran ist: Die Erfolgsgeschichte begann nicht in Hollywood, sondern in Israel, wo das Konzept unter dem Titel «Hatufim» lief, bevor es für den amerikanischen Markt adaptiert wurde. Ähnlich waren auch die Anfänge des viel ausgezeichneten «In Treatment», das sich so stark an das israelische Original «BeTipul» anlehnte, dass die Drehbücher für die US-Version oftmals fast nur übersetzt und die israelischen Autoren im Abspann erwähnt wurden.

Ansonsten importiert man in den USA allerdings fast nur aus dem restlichen angelsächsischen Raum. «Skins» (Foto), «The Office» und «All in the Family» aus dem Vereinigten Königreich, am Rande liefen in der Vergangenheit noch unadaptierte Wiederholungen kanadischer Serien wie «Degrassi High». Doch auch in Amerika basiert ein durchaus nennenswerter Teil des Serienprogramms auf Formaten aus dem Ausland. Doch wieso heißt dieses Ausland nahezu ausschließlich Großbritannien und Israel und nicht Deutschland? (Ein oft genanntes Argument in dieser Diskussion kann durch das israelische Beispiel schon entkräftet werden: nämlich dass dies daran liege, dass der britische Kulturraum dem amerikanischen eben näher sei als der deutsche und so das Adaptieren stark vereinfacht.)

Marc Terjung, der Erfinder von «Danni Lowinski», das in amerikanisierter Form zeitweise eine reelle Chance auf einen Platz auf den US-Mattscheiben hatte und eventuell bald für den amerikanischen Markt neu pilotiert werden wird, gab Quotenmeter.de eine genauso einfache wie direkte Antwort: „Weil die Serien dort besser sind.“

Natürlich gibt es auch in Deutschland hochwertig produzierte Serien mit starken Drehbüchern und recht interessanten Charakteren. Terjungs «Danni Lowinski» und Bora Dagetkins «Türkisch für Anfänger» sind hier wohl die Paradebeispiele, «Stromberg» kann man allenfalls bedingt gelten lassen, da das Konzept aus Großbritannien stammt. Gleichzeitig wird auch in England und den USA sehr viel Blödsinn produziert. Doch wer all diese Märkte aufmerksam verfolgt, wird schnell feststellen, dass nicht nur die Durchschnittsqualität in den angelsächsischen Ländern höher ausfällt als in Deutschland, sondern dass es auch deutlich mehr qualitative Ausreißer nach oben gibt.

Das Symptom ist also schnell erkannt – doch auch das muss Ursachen haben. Wieso ist es also nicht nur in der Branche ein offenes Geheimnis, dass der deutsche Fiction-Markt im Serienbereich dem in anderen Ländern qualitativ hinterherhinkt?

Als Grund wird hier oft recht schnell der fehlende Mut der Programmverantwortlichen – sowohl bei den öffentlich-rechtlichen als auch bei den privaten Sendeanstalten – angeführt. Und damit liegt man wohl nicht sonderlich falsch.

Nicht nur mit der gewohnten Serienästhetik wird in England, Israel und den USA gerne experimentiert; auch was die narrativen Strukturen angeht, lässt man immer wieder neue Formate sich bewähren. «24» erzählte in 24 Folgen pro Staffel genau einen Tag. «Breaking Bad» behandelt ein sehr schweres Thema, nämlich das eines todgeweihten Chemielehrers, der um seine Familie finanziell abgesichert zu wissen, sich in die Fänge des Chrystal-Meth-Handels begibt. «Seinfeld» war die „Show about nothing“ par excellence. «Arrested Development» lebte zu einem beträchtlichen Anteil von metafiktionellen Spielereien, einer stark ausgeprägten Intertextualität und allerhand Kuriositäten. «BeTipul» und «In Treatment» sind Echtzeit-Kammerspiele.

Nicht alle diese Sendungen haben lange überlebt. «Arrested Development» wurde etwa schon nach drei Staffeln (davon zwei verkürzten) wieder eingemottet. Aus «Seinfeld» wurde dagegen nach ein paar Startschwierigkeiten die erfolgreichste Sitcom der amerikanischen Fernsehgeschichte.

Beispielhaft nun die Analyse einer erzählerischen Neuerung, die in hochwertig produzierten amerikanischen Serien wie «Entourage» und «Mad Men» in jüngerer Zeit zum Vorschein trat. In beiden Formaten wird immer wieder intensiv auf einen Höhepunkt hin erzählt und sie befassen sich auch intensiv mit den Konsequenzen, die sich aus ihm ergeben, lassen den Höhepunkt dabei aber ungezeigt (Sehr schön sieht man dies etwa in der zweiten «Mad Men»-Staffel, in der Roger seine Frau verlässt und eine Beziehung mit der Sekretärin Jane beginnt; die eigentliche Trennungsszene fehlt). Da es sich hier auch aus Quotensicht um eine Hitserie handelt, die obendrein noch mit Auszeichnungen überschüttet wird, lässt sich folgern, dass diese innovative Erzählweise zumindest vom amerikanischen Publikum angenommen wird.

Wir haben Isolde Tarrach (ehemalige Chefautorin von «Verbotene Liebe» und Drehbuchautorin bei «Eine wie Keine») gefragt, wieso den Zuschauern diese eine Kernszene nicht fehlt, weswegen sich dieses innovative narrative Element auf hochwertige US-Serienproduktionen beschränkt und in Deutschland so ziemlich undenkbar wäre. Ihre Antwort erklärt einiges: „Bei einer Serie, die konsequent ,charcter driven' erzählt wird, ist es nicht so wichtig, den sogenannten Höhepunkt zu sehen, denn das eigentlich Interessante ist, wie die Figur dahin kommt und was dieses Ereignis mit ihnen macht.

Da bei den meisten deutschen Serien eine den Figuren aufgestülpte Aktion die Handlung bestimmt, würde man natürlich etwas vermissen, wenn man diese Auflösung nicht miterleben könnte.

Insofern beschränkt sich diese Erzählweise nur auf Produktionen, in denen die Geschichten aus den Charakteren heraus erzählt werden. Diese Erzählweise gibt es in US-Serien – wenn auch nicht so ausgeprägt – schon länger.

Ich denke, dass diese Erzählweise im deutschen TV schon etwas mit Mut zu tun hat. Allerdings fängt es schon mit dem Mut an, sich auf einen Charakter und dessen Eigenschaften festzulegen. In vielen deutschen Produktionen wird der Hintergrund und die Historie einer Figur gerne möglichst offen gehalten, damit man von Folge zu Folge möglichst viele Entscheidungsmöglichkeiten hat. Das hat zur Folge, dass Charaktere schwammig und für den Zuschauer nur schwer nachzuvollziehen sind. Zu einer Katastrophe wird das Ganze, wenn mehrere Schreiber an einer Serie arbeiten und jeder dadurch Platz für seine eigenen Charakterisierungen hat – da passt dann nichts mehr zusammen.“

Da steht er wieder – der fehlende Mut.

Ist der fehlende Mut der deutschen Fernsehmacher der einzige Grund für die mangelnde Beachtung der deutschen Serie auf dem internationalen Markt? Lesen Sie morgen den zweiten Teil unserer Analyse - exklusiv bei Quotenmeter.de

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