First Look

«Homeland»

von
Showtime liefert mit «Homeland» nicht nur den besten Neustart der aktuellen TV-Saison, sondern hat auch die besten Chancen, der offizielle Nachfolger von «24» zu werden. Ein erster Einblick in die neue Serie

Jack Bauer ist zwar vor mehr als einem Jahr aus dem Geschäft der Terroristenklatsche ausgestiegen, doch im Fernsehen bleibt das Thema brandaktuell. Und nach dem Serienfinale von «24» tut es ganz gut, so schnell schon eine neue Serie zu bekommen, welche als Nachfolger der Actionserie gesehen werden kann, ohne wirklich als Kopie zu gelten. Mit dem neuen TV-Thriller «Homeland» versucht Showtime nicht nur den Bereich der einstündigen Dramen auszubauen, nachdem der Premiumsender mit «Shameless» und «The Borgias» in der ersten Jahreshälfte gleich zwei Dramaerfolge auf die Bildschirme brachte, sondern auch auf die Welle von Hollywoods Paranoia aufzuspringen, welche nach 9/11 und durch die resultierende Angst vor dem Terror ausgelöst wurde.

Bagdad: CIA-Stabsoffizierin Carrie Mathison (Claire Danes) befindet sich mitten in einer nicht autorisierten Mission, als sie von einem inhaftierten Spion erfährt, dass ein amerikanischer Kriegsgefangener von Al-Qaeda zum Terroristen manipuliert wurde. Zehn Monate später – Carrie wurde inzwischen degradiert und zur Anti-Terror-Einheit versetzt – gibt es die Neuigkeit, dass während eines Angriffs von Delta-Force-Kräften im Irak ein amerikanischer Soldat lebend gefunden wurde, der 2003 spurlos verschwand und seitdem als „missing in action“ galt. Amerika hat mit Nicholas Brody (Damian Lewis) einen neuen Kriegshelden, der nach acht Jahren wieder nach Hause zu seiner Familie zurückkehrt. Doch während alle die Rettungsmission von Brody glücklich feiern, hat Carrie ihre Zweifel: Ist Brody der amerikanische Terrorist, welcher für den hochrangigen Al-Qaeda-Mitglied Abu Nazir einen Terroranschlag auf amerikanischem Boden plant? Mit der Hilfe ihres Mentors und ehemaligen Bosses Saul Berenson (Mandy Patinkin) versucht Carrie Brody auf Schritt und Tritt zu verfolgen, um Beweise für ihren Verdacht zu finden.

Schon 2005 und 2006 hatte Showtime mit «Sleeper Cell» eine Serie, welche sich mit Terroristen und ihre Pläne für Anschläge in den USA beschäftigte, und gilt auch heute noch als Fan- und Kritikerliebling, welcher nicht nur auf die damalige Erfolgswelle der fiktionalen Terrorismusbekämpfung, angeführt von «24», ritt, sondern es schaffe, sich nicht dem Zwang der anspannenden Action hinzugeben und stattdessen ein Charakterdrama zu erzählen. In «Sleeper Cell» ging es nicht darum, wie die amerikanische Regierung mit ihrem Undercover-Agenten ein Anschlag verhindert, sondern wie dieser Agent mit seinem Berufs- und Privatleben inmitten von Terroristen klarkommt. «Homeland» hat zwar eine andere Story, geht jedoch den gleichen Weg: Die Verhinderung eines Anschlages, beziehungsweise die Beweisschaffung, dass überhaupt ein Anschlag bevorsteht, wird von Charakteren begleitet, die nicht nur Futter für die Augen sind, sondern mit ihren Ecken und Kanten schon in der Pilotfolge überzeugen können.

Carrie ist hier das beste Beispiel. Sie ist nicht nur ein makelbehafteter Charakter, welcher seit 9/11 mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat, sondern ist mit ihren psychischen Problemen auch eine recht außergewöhnliche Person, um als Agentin bei der CIA den Terror zu bekämpfen. So etwas hat es zuvor im Fernsehen noch nicht gegeben, und ihre Psyche, gemixt mit ihrem Verdacht gegenüber Brody und ihren Versuchen, ihn als Terrorist zu entlarven, ist allein schon eine vielversprechende Story, welche nicht nur die Paranoia zwischen den beiden Charakteren schnürt, sondern auch zwischen den Zuschauern und der Serie. Die Pilotfolge gibt nämlich genügend Momente, um beide Seiten der Situation zu erörtern. Einerseits ist Carries Vermutung durchaus berechtigt, nachdem die ersten (nicht unbedingt handfesten) Beweise gesammelt werden konnten; andererseits könnte Carrie mit ihrer Vermutung auch völlig falsch liegen, nachdem Brodys Situation gezeigt wird: Acht Jahre Kriegsgefangenschaft gehen nicht einfach an ihn vorüber, und die Eingliederung zurück in die Gesellschaft, besonders ins Familienleben mit seiner Frau Jessica (Morena Baccarin) und seinen beiden Kindern Dana (Morgan Saylor) und Chris (Jackson Pace), ist nicht einfach – besonders wenn man täglich während Debriefings mit Fragen durchlöchert wird, und von der Presse und den Vizepräsidenten als nationaler Held gefeiert wird.

Hier liegt auch der stärkste Aspekt der Serie: Nach einer Folge ist überhaupt nicht klar, wohin die Serie gehen wird. Ist «Homeland» eine Serie, welche auf den psychologischen Thriller Wert legt und zwischen Carrie und Brody Momente liefert, bei denen sich Charaktere und Zuschauer fragen, ob Carries Verdacht sich bestätigt, oder Brody nur ein harmloser ehemaliger Kriegsgefangener ist; oder ist «Homeland» eine Serie, welche mehr in die Richtung einer Miniserie geht und ähnlich wie «Sleeper Cell» einen staffellangen Thriller bietet, welcher die Balance zwischen Drama und Action aufbehält und im Staffelfinale mit einem furiosen Abschluss der Story aufwartet? Da hilft es auch, wenn die Darsteller ihre Rollen spielen, als wären ihre Charaktere das größte Mysterium der aktuellen TV-Season. Damian Lewis zum Beispiel. Er spielt seinen Charakter in verschiedene Richtungen, in welcher sein Verhalten mehrfach interpretiert werden könnte: Ist er nun einer der Terroristen, oder versucht er nur sein altes Leben zurückzubekommen? Dass Claire Danes mit ihrem manischen Spiel ebenfalls Misstrauen erweckt, macht es für den Zuschauer umso einfacher, mit den Charakteren zu theoretisieren, oder Vertrauen und Misstrauen zu entwickeln.

Die Darsteller können punkten, ihre Charaktere sind nicht weit entfernt von der Realität, und die Story kann mehrere Wege einschlagen, welche eine volle Staffel mit interessanten Twists und Wendungen füllen kann, ohne überdreht oder albern zu wirken. «Homeland» hat in seiner ersten Folge gewissermaßen einen Sog kreiert, welcher es dem Publikum nicht so einfach ermöglicht, schnell von der Serie wieder wegzukommen. Damit liefert «Homeland» mit seinem starken Storytelling nicht nur die beste Pilotfolge dieses Herbstes ab, sondern auch die interessanteste Serie, die es schafft, über die Schatten seiner Vorgänger zu springen und einen neuen Ansatz der Terrorismus-Geschichte zu zeigen. Die Erwartungen sind nun hochgeschraubt worden, und es liegt an den Autoren, «Homeland» mit Storys zu bestücken, die auch weiterhin realitätsnah und mit spannender Paranoia bestückt sind.

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