Hingeschaut

Wenn Inka Bause durch eine Hure ersetzt wird

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Mit der aktuellen Wochenserie von «We are Family» erreicht ProSieben einen neuen Tiefpunkt in der deutschen Fernsehunterhaltung. Christian Richter hat hingeschaut.

Im Nachmittagsprogramm des deutschen Fernsehens hat es in den vergangenen Jahren schon so manchen Fehltritt gegeben. Im Laufe der Zeit wurden die Zuschauer dabei so abgestumpft, dass sie den täglich dargebotenen Müll tapfer ertragen. Doch was ProSieben in diesen Tagen im Rahmen seiner Sendung «We are Family» präsentiert, stellt einen weiteren Tiefpunkt in der täglichen Fernsehunterhaltung dar. Und zwar auf mehreren Ebenen.

Seit dem 28. August 2009 strahlt ProSieben in seiner nachmittäglichen Dokuschiene die Wochenserie «Ossi meets Wessi» aus, in der fünf ledige Männer aus den neuen Bundesländern jeweils drei Frauen treffen, die aus dem Westteil des Landes kommen. Bereits am ersten Abend müssen sie eine der drei Kandidatinnen abwählen und verbringen anschließend eine Woche mit den beiden verbliebenen Frauen in ihrer Heimat. Am Ende, so erhoffen sich alle Beteiligten, entscheidet sich jeder Mann für seine Traumfrau und findet so seine große Liebe.

Bereits jetzt dürfte jedem Fernsehzuschauer die gravierende Ähnlichkeit zum RTL-Erfolgsformat «Bauer sucht Frau» auffallen. Diese Gleichheiten sind sicher nicht zufällig, denn der gesamte Verlauf der Show ist dreist abgekupfert. So findet das erste Kennen lernen zwar nicht auf einem Scheunenfest, aber dafür auf dem Tanzfest statt. Auch die gemeinsame Woche der Kandidatinnen im heimischen Umfeld des Mannes ist ein fester Bestandteil der RTL-Show. Dazu kommt eine blonde Moderatorin, die wie schon im Original durch das Tanzfest in einem ländlichen Dirndl führt. Was auch immer ein Dirndl mit Ost/West zu tun haben soll?

Doch während bei RTL die beliebte Inka Bause die einsamen Herzen verkuppelt, übernimmt bei ProSieben diese Aufgabe die Ex-Prostituierte Trixie Hübschmann, die man selbst aus zahlreichen Folgen von «We are Familiy» kennt. Seit ihrem ersten Fernsehauftritt in der Talkshow «Ricky!» vor rund zehn Jahren konnte der Zuschauer beinahe jeden Schritt des Lebens der naiven Blondine mitverfolgen. Ihre Arbeit in einem Edelbordell, die große Liebe zu einem Berliner Gastronomen, die nach kurzer Zeit wieder zerbricht und ihr ein Kind hinterlässt, sowie die kurzzeitige Aufgabe ihres Berufes und dessen Wiederaufnahme. Immer war eine Kamera dabei und machte auch vor ihren älteren Kindern Paul und Romy nicht halt, die oft nicht sehr begeistert von den Auftritten ihrer Mutter schienen. Obendrein veröffentlichte sie unter dem Titel "Hinter den Wolken ist der Himmel blau: Geschichte der Berliner Hure Trixie Hübschmann" ihre Lebensgeschichte als Buch. Welch ein Ersatz für Inka Bause. Aber durch ihre eigene Beteiligung an vielen Folgen der Dokureihe immerhin konsequent.



Das alles allein wäre noch nicht so schlimm. Dass Formate geklaut werden, ist zwar bedauerlich, aber nicht neu. Was hier zu bemängeln ist, ist vor allem die schlechte Qualität der Produktion und die fehlende Moral. Denn so richtig deutlich wird es nicht, warum bei dieser Kopie unbedingt Ossi und Wessis aufeinander treffen müssen. Dieses Konzept wurde anscheinend nur gewählt um eine Grundlage für die dümmsten Klischees zu haben, welche die Macher dann auch ohne Hemmungen ausspielen. Dies beginnt bereits bei der Auswahl der männlichen Kandidaten, die alle fünf einen mitteldeutschen Dialekt haben. Dass es auch Ossis geben soll, die aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Berlin kommen, scheint hier unwichtig zu sein. Ein echter Ossi spricht nun mal sächsisch. Es setzt sich fort über die Erlebnisse der Teilnehmer in den gemeinsamen Wochen, bei denen sie natürlich nicht an Spreewaldgurken und FKK vorbeikommen und findet seinen Höhepunkt darin, dass ein Kandidaten die DDR-Hymne auf einem Casio-Keyboard erklingen lässt. Unterstützt wird dieses durch den Off-Kommentar, der beim Herauswählen der ersten Frauen immer wieder betont, dass diese nun wieder „zurück in den Westen“ fahren dürfen.

Genau 20 Jahre nach dem Mauerfall ist eine solche Sendung eine Ohrfeige und Beleidigung für das deutsche Volk. Wie soll mit derartigen Formaten die Teilung unseres Landes jemals vollständig überwunden werden? Allein das Konzept unterstellt von vornherein, dass es zwischen Ost- und Westbewohnern eine natürlich Grenze gibt, die nur schwer überwindbar ist. Hat ProSieben so ein Super-Illu-Niveau wirklich nötig? Geht es dem Sender so schlecht, dass er die Messlatte des Niveaus eine weitere Stufe herabsetzen muss? Und welches Bild bekommen die jungen Zuschauer, die nach der Wende geboren sind und die Chance haben ,ohne solche Vorteile aufzuwachsen? In dieser jungen Zielgruppe, die ProSieben besonders anspricht, pflanzt der Sender die Stereotypen weiter fort.

Doch damit noch immer nicht genug. Denn selbst wenn man sich auch mit dieser Klischee-Schlacht anfreunden kann, bleibt noch immer der bitterere Beigeschmack bei der Auswahl der Protagonisten der Serie. Als Zuschauer hat man den Eindruck, dass es sich dabei durchgehend um verzweifelte Menschen mit mangelndem Selbstvertrauen handelt, die hier einmal mehr öffentlich vorgeführt werden. Allein die Tatsache, dass nahezu alle Teilnehmer übergewichtig sind, lässt diese Vermutung aufkommen. Selten war eine Gruppe so konsequent zusammengestellt.

Dass nun diese Menschen öffentlich gegeneinander ausgespielt werden und in einem Beliebtheitswettbewerb gegeneinander antreten müssen, ist moralisch verwerflich. Die Frauen buhlen um die Männer und erbetteln sich dadurch einen Funken Anerkennung. Für diejenigen, die herausgewählt werden bleibt eine erneute Niederlage in aller Öffentlichkeit. Dabei werden wieder einmal Emotionen erzwungen, ohne Rücksicht auf die Gefühle und das Ansehen der Menschen. Wie oft muss man dieses verächtliche Verhalten von Fernsehmachern noch beobachten. Diese Handlungsweisen können auch nicht mit dem Hinweis auf die freiwillige Teilnahme der Kandidaten und deren freie Entscheidung gerechtfertigt werden. In den meisten Fällen können diese medienunerfahrenen Menschen überhaupt nicht überblicken, was genau auf sie zukommt und wie die Geschehnisse im Fernsehen wirken.

ProSieben wird diesem Schmierentheater insgesamt sechs Ausgaben mit je zwei Stunden Sendezeit widmen, bevor man erfährt, welcher Ossi sich für welchen Wessi entscheidet. Man kann nur hoffen, dass sich die Zuschauer nicht dafür begeistern können, sonst sind weitere Sendungen dieser Art zu befürchten. Daher sollte in dieser Woche der Fernseher am Nachmittag lieber ausgeschaltet bleiben, denn bessere Alternativen bieten die Konkurrenten mit Salesch, Kallwass und den RTL-Dokus auch nicht.

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