Interview

Jan Bonny: 'Wenn du zuerst deine Aussage hast und dann rückwärts die Geschichte kreierst, ist das forciert'

von

«Wir wären andere Menschen»-Regisseur Jan Bonny steht für smarte Dramen. Und er vergleicht gute Filme mit einer Schlittenfahrt.

Jan Bonnys Filmografie (Auswahl)

  • «Gegenüber» (Drehbuch und Regie)
  • «Ich, Ringo und das Tor zur Welt» (Drehbuch und Regie mit Oliver Schwabe)
  • «Polizeiruf 110: Der Tod macht Engel aus uns allen» (Regie)
  • «Rheingold» (Drehbuch mit Alex Wissel und Jens Schillmöller, Regie)
  • «Über Barbarossaplatz» (Regie)
  • «Tatort: Borowski und das Fest des Nordens» (Regie)
  • «Wintermärchen» (Drehbuch und Regie)
  • «Tatort: Ich hab im Traum geweinet» (Drehbuch mit Jan Eichberg, Regie)
Egal ob sie Teil einer etablierten Reihe sind oder wie «Wir wären andere Menschen» für sich stehen: Ihre Krimi-Fernsehfilme fallen aus dem üblichen Schema heraus. Was denken Sie, weshalb gibt es so viele Fernsehkrimis, die sich so sehr ähneln? Was ist der Ursprung dessen?
Es gibt ja viele Filme, die nicht in dieses Schema passen. Aber dass es noch viel mehr gibt, die in das Schema passen, liegt zum einen bestimmt auch an der reinen Gewöhnung. Man macht's so, weil man's schon lange so macht. Und zum anderen kommt erschwerend hinzu, dass es seit Jahren den Drang gibt, alles innerhalb des Films zu erklärbar und eindeutig zu machen. Damit sind pseudorealistische Herangehensweisen vorprogrammiert. Aber es ist halt Pseudorealismus. Aber gut, was ist schon Realismus?

Weshalb würden Sie viele Fernsehfilme als pseudorealistisch bezeichnen?
Es ist doch viel zu klein, solche Kausalketten zu erzählen. Im echten Leben gibt es nicht diese eine, klare, deutliche Hinleitung. Wir alle treffen Entscheidungen, die nicht nachzuvollziehen sind. Und in unseren eigenen Leben können wir die wenigsten Menschen, denen wir begegnen, in ihrem Wesen en detail nachvollziehen. Das ist doch irgendwie oft der Ausgangsfehler: Sehnsucht nach einer unmissverständlichen Kausalität, unter dem Vorwand, das sei psychologisch schlüssig.

Das verschließt natürlich die Erzählung und drängt die Freiheit meiner Figuren zurück, von einer Reduktion eines Films auf so was banales wie Handlung einmal ganz abgesehen. Ich nehme mir - mit besten Absichten - immer vor, ein bisschen dagegen vorzugehen. Es muss Leerstellen geben, die Figuren und die Filme müssen Luft zum Atmen haben. Das Publikum soll sich Gedanken machen können, die es sich im echten Leben auch macht.

Wie setzen Sie diesen Gedanken in Ihren Filmen um?
Wenn ich den Auslöser im Film habe, will ich nicht auch den folgerichtigen Auflöser haben. Der Film kommt doch vom Rummelplatz, und jetzt soll er eher im Schulbuchverlag beheimatet werden. Unter dem Vorwand: Das Publikum will das, anderweitig ist es überfordert. Das halte ich für völligen Mumpitz: Jeder liebt eine gute Schlittenfahrt.

Das höre ich auch selten – dass jemand, der so dramatische, nachdenkliche Filme dreht wie Sie, und "Film als Rummelplatz" als positive Sache bezeichnet.
Ich will im Film nicht einfach exakt die Erkenntnis vorgesetzt bekommen, was ich schon weiss. Ich will etwas erleben. Ich möchte eine Welt sehen, die meine eigene erweitert. Das kann genauso gut in der Schwerelosigkeit sein wie am 23 quai du Commerce in Brüssel. Und genauso kann es bedeuten, dass ich Grenzen des in meiner Zeit erzählbaren und lesbaren auslote und mich einem Konflikt, einem Charakterzug oder einem Drang von Figuren aussetze, den ich in meinem eigenen Leben nicht an mir erkenne oder bei anderen erleben möchte. 'Erleben' im Film kann physisch, von sinnlicher Natur oder eine intellektuelle Erkundung sein, im besten Falle alles zugleich.

Zur Gegenprobe: Welche Art Film würde denn dann Ihrem Kriterium, Film sollte wie Rummel oder Schlittenfahrt sein, widersprechen?
Ich mag keine pädagogischen Filme, Filme denen ich die Absicht anmerke, vorbildliches Handeln vorzuführen. Ich meine damit nicht, dass ich nur Filme über düstere, fehlerhafte Personen mag. Ein paar der mir liebsten Filme, zeigen eine Welt, wie sie sein sollte. Figuren, die in einer Aufrichtigkeit handeln, die ich mir für uns alle in unser Leben wünschen würde. Die den Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit führen. Aber diese Filme fußen auf Figuren, die nach diesen Geschichten schreien. Und aus diesen Geschichten erzeugt sich dann solch eine positive Aussage.

Doch wenn du zuerst deine Aussage hast und dann rückwärts die Geschichte und die Figuren kreierst, um zu dieser Aussage zu gelangen, ist das forciert, gekünstelt und unstimmig. Das macht die Filme zu Vehikeln. Das nimmt ihnen das Leben und die Kraft die Zeit zu überdauern.

Das heißt also ganz konkret: Die Initialzündung ist bei Ihnen stets die Figur?
Ja. Bei Filmen, die ich auch selbst wenigstens mitschreibe, sind stets die Figur und die Welt, die ich erzählen will, der Ausgang von allem.“

Ich mache sehr gern Polizeifilme – denn wenn man mit den richtigen Entscheidungsträgern zusammenarbeitet, dann ist zum Beispiel der «Tatort» ein Gefäß und du kannst es eigenständig füllen und platzieren. Ein guter Tatort ist ein Film, der auch für sich stehen kann. Ein konzentriertes Drama. Das ist eine gute Aufgabe.
Jan Bonny
Und wie lässt sich Ihr Vorgehen mit Krimireihen wie dem «Tatort» vereinen?
Am Anfang steht dort für mich der Versuch, mir die Figuren zu eigen zu machen. Ich will stets einen Ansatz finden, den das Publikum nicht erwartet. Und wenn es nur eine prononciertere Körperlichkeit ist oder auch nur bedeutet, dass ich die Figur überhaupt wirklich ernst nehme. Es ist doch langweilig, wenn der Film beginnt und die Leute sagen: 'Ah, der Milberg, wie ich ihn kenne, mach ich jetzt gemütlich 'nen Haken dran'.

Dann ist das kein Film mehr. Es ist doch viel schöner, wenn das Publikum vergisst, dass es einen «Tatort» guckt und so bekanntes noch mal neu entdecken kann, dem Erzählten vielleicht nochmal mehr Bedeutung gibt, weil es mehr für sich steht.

Ich mache sehr gern Polizeifilme – denn wenn man mit den richtigen Entscheidungsträgern zusammenarbeitet, dann ist zum Beispiel der «Tatort» ein Gefäß und du kannst es eigenständig füllen und platzieren. Ein guter Tatort ist ein Film, der auch für sich stehen kann. Ein konzentriertes Drama. Das ist eine gute Aufgabe.

Können Sie mir einen der Wege verraten, über die Sie sich «Tatort»-Figuren neu erschließen?
Ich erzähle viel über die Körperlichkeit meiner Figuren.

Kommen wir zurück zu «Wir wären andere Menschen». Seit den Dreharbeiten ist ja sehr viel passiert in der Welt … Selbst seit der Premiere auf dem Filmfest München 2019!
Es ist schon lustig, wie man seine eigenen Filme manchmal 'wiederentdeckt'. Seit «Wir wären andere Menschen» habe ich schon zwei, drei andere Sachen angefangen – und jetzt läuft er im Fernsehen und ich kann ihn mit anderen Augen betrachten als direkt nach Ende der Produktion.

Überrumpelt Sie so etwas – wenn ein schon abgehakter Film nach langer Zeit "zurück ist", und jetzt erst die ganzen Presseinterviews warten, geschweige denn die TV-Ausstrahlung vor einem Millionenpublikum und die Kritiken?
Ein Film wird erst mit dem Publikum komplett. Ich mache doch keine Filme nur für mich. Es ist Sinn und Zweck der Kunst, sie auch der Welt, den anderen zu zeigen – und daher lese ich auch ganz gerne Kritiken. Ich habe lang an etwas gearbeitet, da will ich doch wissen, was das mit anderen Menschen macht. Und ich freue mich, wenn ich in der Kritik Auseinandersetzung mit dem Film spüre, wenn der Text eine eigene Qualität hat. Das berührt mich dann auch wirklich. Denn dann habe ich ja offenbar etwas getan, das eine passionierte Kritik angespornt hat. Und besonders interessant finde ich es, wenn ich durch Kritiken erfahre, was ich in einen Film gelegt habe, ohne es selber so ganz genau zu wissen.

Vielen Dank für das Gespräch.

«Wir wären andere Menschen» ist am 6. August 2020 ab 23.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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