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«Mütter machen Porno»: 'Find' ich kritisch!'

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Die zweiteilige Sat.1-Dokumentation «Mütter machen Porno» zeigt Mütter, die herausfinden wollen, was Pornografie heute ist, und wie man sie besser machen könnte.

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«Mütter machen Porno» wird produziert von Redseven Entertainment, einem Tochterunternehmen der Red Arrow Studio und ist eine Adaption des britischen Doku-Formats «Mums Make Porn» von Firecracker Films für Channel 4.
Eine Dokumentation darüber, ob das wachsende Angebot an gratis zugänglicher Pornografie negative Auswirkungen auf unser aller Sexualverhältnis hat, geschweige denn auf das Heranwachsender: Keine neue Idee – aber eine, die noch immer Potential hat. Es besteht genug Bedarf für eine zweiteilige Sat.1-Primetimedokumentation darüber. Auch für eine, in der fünf besorgte Mütter in die Welt der Pornografie blicken, um am Ende einen feministischen, aufklärerischen, ästhetischen Porno zu produzieren (ohne darin mitzuspielen). Und um ihn ihren Kindern zu zeigen. Nach dem Motto: "Lasst das mal die Mama machen! Die Mama macht das gut!"

So weit die Theorie. In der Praxis scheitert Sat.1 an nahezu allen Ecken und Kanten. An der Auswahl der Protagonistinnen. Am Entschluss der «Mütter machen Porno»-Redaktion, fast ausschließlich darauf zu setzen, dass die Mütter in Interviewsegmenten das Gesehene einordnen und ihre (schon geäußerten) Sichtweisen einzeln kommentieren. Daran, dass keine korrigierende, in der Materie bewanderte Autorität einschreitet. Und dabei moderiert die ProSiebenSat.1-Sexexpertin Paula Lambert dieses Format an – man hatte also Kontakt zu einer, die weiß, was sie tut!

In «Mütter machen Porno» wird so viel falsch gemacht, dass sich die Frage stellt, wo "Sexexpertinnen machen Mütter machen Porno" bleibt, um ein dringend nötiges Korrektiv zu erhalten. Denn «Mütter machen Porno» kennt nur zwei Modi: Reißerisch und prüde-stinköde.

(Erzähl-)Handwerklich ist diese Redseven-Entertainment-Produktion schlichtweg nicht für die Primetime geeignet, sondern bestenfalls als Vorabendmagazin-Beitragsreihe. Der Ablauf ist monoton: Die Mütter machen etwas, beispielsweise Internetrecherche, eine Stippvisite auf der Erotikmesse Venus, ein Interview mit einem Pornoproduzenten oder eine Fragerunde in der eigenen Familie. Dann fassen sie das, was wir soeben gesehen haben, in Solo-Interviewschnippseln zusammen. Und/oder sie kündigen an, was sie als nächstes tun werden, woraufhin wir auch das zu sehen bekommen. Und wieder von vorn. Durch ewige Wiederholungen verliert die Doku wertvolle Sendezeit – und die Stoßzahl an informativen Augenblicken ist daher geradezu blamabel.

Und wenn «Mütter machen Porno» nicht auf der Stelle tritt oder rumdruckst, macht die Doku einen auf sensationalistisch. Beispiel: Wenn die Protagonistinnen auf die Suche nach Internetpornos gehen, folgt eine Montage von schockierten, angeekelten und empörten Müttern, die vor einem Laptop sitzen. Unterbrochen wird das von Interviewclips, in denen sie die Welt nicht mehr verstehen.

Dadurch, welche Aussagen die Doku-Crew auswählt, wie sie die Reaktionen der Mütter rasant aneinanderreiht, welche Porno-Audioclips gespielt werden, und dadurch, dass sie auf faktisch einordnende Expertise verzichtet, zeichnet diese Doku den Eindruck, dass es im Internet ausschließlich höchst pervertierte, die Grenzen der Legalität mindestens touchierende Sexclips gibt. "Wer keine gefilmte Vergewaltigung sehen möchte, ist im Internet an der falschen Adresse, und daher braucht es diese fünf mutigen Mütter, die endlich einen gewaltfreien Porno inszenieren", scheint die Aussage.

Später frönt die Doku mehrmals munter dem sogenannten kink shaming, also dem Schelten einvernehmlich ausgeübter, legaler Vorlieben. Beispiel: Sowohl in der "Unsere Protagonistinnen schauen Pornos"-Phase als auch während des Venus-Besuchs und bei einem Workshopbesuch bei einer BDSM-Expertin fallen solche sinngemäßen Kommentare wie "Bondage ist eine Straftat", "Sowas gehört verboten" oder "Das kann ihr doch nicht gefallen". Und dann ist da der angewiderte Kommentar einer Mutter, sie hätte Angst, sich im professionell abgehaltenen Workshop Herpes einzufangen.

Für eine Dokumentation, die sich auf die Fahnen schreibt, das fälschliche Sexualbild aus zahlreichen schnellen, harten, stumpfen Internetpornos durch ein konstruktives ersetzen zu wollen, sind diese und vergleichbare Momente nicht einfach Schönheitsfehler. Sondern eklatanter Verrat an der eigenen Intention. Allein die unterschiedlichen Reaktionen der Mütter zu dokumentieren, genügt nicht – eine für Erkenntnisgewinn sorgende Einordnung und/oder Zusammenstellung muss erfolgen. Und nach diesem enormen, negativen Vorlauf, genügt ein kurzer Augenblick, indem eine andere Mutter sich willentlich fesseln lässt und das angenehm findet, einfach nicht.

Womöglich ist es schlicht naiv, «Mütter machen Porno» abzukaufen, überhaupt eine konstruktive Intention zu verfolgen. Schließlich wird ein vollkommen besonnen ablaufendes Gespräch zwischen Müttern und Pornoproduzent mit Ennio-Morricone-Konfrontationsmusik untermalt, ein Pornodreh mit einem desolaten Cover von "Mad World" und bombastisch-dramatische Cover von Linkin Park und Britney Spears dienen dazu, Szenen wahlweise ins Lächerliche zu ziehen oder so sehr zu dramatisieren, dass der kleinste Rest an sexpositivem, konstruktiv-pornokritischem Anspruch mit Nachdruck hinfort gespült wird.

Dabei schlummert tief, tief, tief, tief, tief, in dieser Dokumentation Potential. Eine der aufgeschlossenen Mütter erzählt, dass sie ihre ersten Erfahrungen mit 14 Jahren gemacht hat – mit einem Partner, der auf die 18 zuging und sie mit blauen Flecken und lädierten Knochen zurückließ. Zu untersuchen, wie diese Frau eine offenere Sicht auf die Welt der Sexualität entwickeln oder bewahren konnte als ihre Co-Protagonistin, die einfach alles erschreckend, peinlich und pervers findet ("Nahaufnahmen von Genitalien? Find' ich kritisch!"), hätte dokumentarischen Mehrwert.

Und sollte das den Verantwortlichen zu schwermütig sein, hier ein anderer Ansatz: Die Mütter zanken sich in einer Szene kurz darüber, ob "die Jugend von heute" sehr lose oder sehr strenge Treuevorstellungen hat. Dieser Aspekt wird daraufhin sofort fallen gelassen – obwohl er hundertfach wertvoller ist als das, womit die Doku sonst so gefüllt wird.

Alle, die durch «Mütter machen Porno» neugierig auf eine kritische Auseinandersetzung mit Porno-Drehbedingungen und pornoinduziertem Sexualitätsverständnis geworden sind, sollten dringend die Netflix-Serie «Hot Girls Wanted: Turned On» schauen – sofern noch nicht getan. Denn dieses Format macht all das richtig, was diese Doku verhaut.

Und die Anderen dürfen über den Moment nachdenken, in dem vier der fünf Mütter euphorisch planen, in ihrem Porno, der alles besser machen soll als die übliche Internetpornografie, einfach mal eine Szene nur mit zwei Frauen zu zeigen. "Zwei Frauen! Das muss sein! Damit [unsere Kinder] sehen, dass Sex nicht nur Mann-Frau ist", rufen sie, als hätten sie das geschnittene Brot erfunden. Und die fünfte Mutter schaut angeekelt weg, als eine Bleistiftskizze zweier kuschelnder Damen an die Planungswand geheftet wird.

Mehr muss man über «Mütter machen Porno» nicht sagen.

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