Die Kino-Kritiker

«Dumbo»: Tim Burton bietet Geleit durch den Disney-Zirkus

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Manche Filmfans fragen sich nach Remakes großer Klassiker: "Warum?" Unser Kritiker fragt sich nach Tim Burtons «Dumbo» dagegen: "Was hält Disney-Chef Bob Iger eigentlich von diesem Film?"

Filmfacts «Dumbo»

  • Regie: Tim Burton
  • Produktion: Justin Springer, Ehren Kruger, Katterli Frauenfelder, Derek Frey
  • Drehbuch: Ehren Kruger
  • Darsteller: Colin Farrell, Michael Keaton, Danny DeVito, Eva Green, Alan Arkin, Lars Eidinger, Nico Parker, Finley Hobbins
  • Musik: Danny Elfman
  • Kamera: Ben Davis
  • Schnitt: Chris Lebenzon
  • Laufzeit: 112 Minuten
  • FSK: ab 6 Jahren
Der Disney-Zeichentrickfilm «Dumbo» aus dem Jahr 1941 mag über die Jahrzehnte in die zweite Reihe der Animationsklassiker aus dem Maushaus gerutscht sein. So bekam die Geschichte des stummen Elefantenbabys mit den überdimensionalen Ohren nie eine derartige Luxus-Heimkinoedition spendiert wie «Dornröschen», «Das Dschungelbuch», «Die Schöne und das Biest» oder «Der König der Löwen». Und in Sachen Merchandise, einer wichtigen Säule des Disney-Konzernes, spielt die in kräftig-cartoonigen Farben gehaltene Zirkusgeschichte lediglich eine marginale Rolle. Und doch sollte «Dumbo» nicht unterschätzt werden, denn der weniger als 70 Minuten lange Zeichentrickfilm ist ein Meisterwerk des effizienten Geschichtenerzählens. Eine Neuverfilmung des Stoffes, noch dazu eine mit 112 Minuten Laufzeit, kann dagegen doch nur verblassen.

Der entscheidende Kniff ist bei der Betrachtung dieses Tim-Burton-Remakes, wie praktisch bei allen Neuverfilmungen, nicht mit grimmer Miene und verschränkten Armen im Kinosessel zu sitzen, und bloß dann aufzulockern, wenn die erneute Interpretation derselben Geschichte ihren Vorläufer überflügelt. Nicht jedes Remake muss in sämtlicher Hinsicht und ohne jeglichen Zweifel besser sein als das jeweilige Original, es muss ja auch nicht jede Coverversion eines Liedes mit der Ursprungsfassung den Boden aufwischen. Alles was, auch ohne das Original zu schlagen, hörens- beziehungsweise sehenswert ist, kann schon ein Gewinn sein. Auf Tim Burtons «Dumbo» trifft genau dies zu: Am zeitlosen, prägnanten und fabelhaften Zeichentrickoriginal reicht die Realfilmneuadaption längst nicht heran. Und dennoch ist sie Tim Burtons bester Film seit «Sweeny Todd – Der teuflische Barbier aus der Fleet Street»; ein stilistisch und tonal nostalgischer Außenseitertraum, der zugleich topaktuelle Showbizkritik ausübt. Aber fangen wir beim Anfang an:

Florida im Jahr 1919: Mit der Dampflok Casey Jr. zieht der kleine Zirkus 'Medici Bros.' (geführt vom Einzelkind Max Medici) zur nächsten Spielstätte. Zur Zirkustruppe gehören auch Milly und Joe Farrier, die Kinder des früheren Zirkusstars Holt Farrier, der im Ersten Weltkrieg dienen musste und dort einen Arm verlor. Bei seiner Heimkehr trifft er seine Kinder in einer trüben Stimmung an: Der Zirkus ließ finanziell Federn, der kürzliche Tod ihrer Mutter steckt den Kindern noch in den Knochen und ihren Vater erkennen sie auch nicht so richtig wieder, ist der alte Wirbelwind nun doch ein gedämpftes Gemüt.

Als Ringmeister Max Medici an die kargen Geldreserves des Zirkusses geht, um eine werdende Elefantenmutter zu erwerben, wendet sich jedoch das Blatt: Milly und Joe sind hin und weg vom knuffigen Elefantenbaby, das kurz danach zur Welt kommt. Andere halten es aufgrund seiner Riesenohren für eine abartige Laune der Natur – bis das wundersame Talent des kulleräugigen Tieres zur Geltung kommt …

Mit seiner «Dumbo»-Variante kehrt Tim Burton visuell und tonal gewissermaßen zu seinen Anfängen zurück: Ähnlich, wie «Pee-Wees irre Abenteuer», «Beetlejuice» und «Edward mit den Scherenhänden» oder «Mars Attacks!» bewusst künstlich aussahen, verzichtet auch «Dumbo» auf den Versuch, eine täuschend echte Welt aufzubauen. Die detailverliebten Kulissen sehen nach Kulissen aus, der freie Abendhimmel des ländlichen Amerikas wie reinkopiert und die detailreichen Kostüme der Figuren wie frisch aus dem Fundus gezogen. Nur, dass der Modellcharme früherer Burton-Filme hier nicht in gleicher Kraft zieht, da hier und da der digitale Schimmer nicht mit allerletzter Mühe vollendeter Trickeffekte schimmert.

Dennoch zieht Burton seine "Altes, altes Hollywood, als noch in Studios gedreht wurde"-Stilistik mit einer Kohärenz und Verspieltheit durch, wie sie ihm lange nicht mehr anzumerken war. Die quirlig-unechte, aber romantisierte Zirkusatmosphäre dient als bezirzendes Setting für die (typische Burton-)Geschichte einer Gruppe Außenseiter. In diesem Fall geht es darum, wie eine Familie, die sich nicht mehr wohlfühlt, durch einen sonderlichen Elefant wieder zu sich findet. So, wie das Elefantenbaby Jumbo junior, besser bekannt als Dumbo, sich zunächst für seine Ohren schämt und dann lernt, sie zu lieben, erkennt Kriegsveteran Holt, dass er seinen verletzten Körper zu akzeptieren hat. Und dadurch, dass ihnen ein süßes Elefantlein vorlebt, den Kopf oben zu halten, erkennen Holts Kinder Milly und Joe, dass auch sie fähig sind, Hindernisse zu überkommen. Was Burton hier mit altmodisch-verträumtem Duktus auf Basis eines Drehbuchs von «Ring»-Autor Ehren Kruger erzählt, ist so gesehen eine gedoppelte Fabel: Das Publikum lernt anhand der fiktiven menschlichen Figuren auf der Leinwand, diese wiederum lernen kleine, jedoch wichtige Lektionen durch einen Elefanten mit vermenschlichten Gefühlen.

Das Schauspiel des Ensembles fällt, passend zu diesem Tonfall, grob, aber sympathisch aus: Da Burton mehr Wert auf den dezent schrägen, nostalgisch verklärten Tonfall als auf nuancierte Charakterzeichnungen legt, gibt Colin Farrell den netten, aber impulsiven Familienvater, ähnlich schlicht, aber mit mimischer Wärme an wie Danny DeVito den kauzig-cholerischen, nie aber böswilligen Zirkusdirektor. Die Jungdarsteller Nico Parker und Finley Hobbins sind etwas steif, trotzdem gelingt es ihnen, wie auch dem restlichen Ensemble, dieses exzentrisch-magisch angehauchte Zirkus-Familiendrama mit pointiert platzierten, kleinen Schmunzlern zu versehen. Sei es ein kurzer, verdatterter Blick, ein mit leichtem Sarkasmus angehauchter, beiläufiger Kommentar oder aber die absolute, völlig trockene Reaktion auf sich gerade abspielenden Zirkus-Irrsinn: Die Gags in «Dumbo» sorgen für einen präsenten Unterhaltungsfaktor, ohne je penetrant zu werden.

Und dann ergänzen Kruger und Burton die "Steh zu dir, du kannst es schaffen, schenk Hänseleien kein Gehör!"-Geschichte, plötzlich um ein beiläufig eingewobenes, aber sehr treffendes Showbiz-Satireelement: Der Entertainmentmagnat V. A. Vandevere (Michael Keaton in einer überzogenen Abwandlung seiner «The Founder»-Performance) wird auf den fliegenden Elefanten aufmerksam, und kauft einfach den gesamten Zirkus auf, um ihn (wie andere kleine Truppen zuvor) in sein Unterhaltungsimperium (inklusive Freizeitpark mit griffigen Themenbereichen) einzugliedern. Was Disney-CEO Bob Iger, der Mann, der Pixar, Marvel, Lucasfilm und 20th Century Fox aufgekauft hat, von dieser zwielichtigen Figur hält, ist bislang nicht verbucht.

Es lässt sich gewiss so oder so lesen: Sollte man nun den Disney-Konzern für doppelzüngig halten und «Dumbo» als heuchlerischen Film ausbuhen? Oder wollen wir lieber den Optimismus eines Erdnüsse mampfenden Kindes beibehalten, das erstaunt etwas erblickt, das eigentlich nicht sein kann? Tim Burton lässt einen ausdrucksstark animierten (wenngleich nie mit «Christopher Robin»- oder «Paddington»-Glaubwürdigkeit ins Realfilmmaterial integrierten) Elefanten fliegen und beißt nebenher die Hand, die ihn immer wieder mal füttert und offenbar an einer relativ langen Leine hält. Zudem: «Dumbo» kann ja nichts für die Fox-Entlassungen, wieso also den Botschafter ausbuhen, weil er im selben Zirkuszelt sitzt wie der Auslöser einer verwandten Botschaft?

Dass «Dumbo» durch diesen Showbiz-Satirefaktor keine 180-Grad-Wendung unternimmt, sondern ihn nahtlos in seine Zirkusfabelstimmung einarbeitet, liegt derweil an Danny Elfmans sanfter, dauererstaunten Filmmusik, einer empathisch-exaltierten Darbietung Eva Greens als freundliche Partnerin Vandeveres und den von Kameramann Ben Davis («Doctor Strange») markig eingefangenen Zirkus- und Freitzeitparkbildern. Selbst, wenn nie die visuelle Stärke und kindlich-eingängige Simplizität des «Dumbo»-Zeichentrickfilms erreicht wird: Tim Burtons «Dumbo» ist ein Remake mit kreativer Identität und einem recht entwaffnenden altmodischen Charme. Es steht zu befürchten, dass die weiteren Disney-Remakes dieses Jahres nichts dergleichen zu bieten haben werden. Aber warten wir's ab. Es hätte ja auch nie wer geglaubt, dass ein Elefant fliegt – und dann auch noch zwei Mal in der Kinohistorie.

«Dumbo» ist ab dem 28. März 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 3D und 2D.

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